Freitag, 22. Juni 2012

Aufatmen der Kassenärzte: Weder Amtsträger noch Beauftragter der Krankenkassen

Heute wurde das seit langem mit Spannung erwartete Urteil des Obersten Senats des BGH zur Rechtsstellung des Arztes veröffentlicht. Seit über einem Jahr diskutierten die Richter dieses Gremiums darüber, ob Ärzte künftig Amtsträger oder doch wenigstens Beauftragte im Sinne der Krankenkassen sind.

Nachdem es lange Zeit so aussah, dass Ärzte zumindest als Beauftragte der Krankenkassen gelten würden, kommt die heute veröffentlichte gegenteilige Entscheidung für zahlreiche Beobachter dieser grundlegenden Rechtsdiskussion durchaus überraschend: Ärzte sind weiterhin weder Amtsträger noch Beauftragte. Liest man die Begründung dieser Entscheidung und deren stringente Eindeutigkeit, so überrascht eigentlich mehr, wieso eine solche Diskussion in juristischer Sicht überhaupt entstehen konnte.

Insgesamt schwelt vielmehr über der gesamten Problematik eine seitens zahlreicher Medien mit großer Publikumsreichweite immer wieder geschürte Diskussion über eine angeblich quasi durchgängige Korrumpiertheit des gesamten Gesundheitssystems. Die Berichterstattung zu diesem Thema ist aber nicht selten von mangelnder Sachlichkeit geprägt. Im einfacheren Fall beherrscht Unkenntnis die Darstellung. Nicht selten aber kennzeichnet tendenziöse Berichterstattung die Sachlage, indem wichtige Informationen für Laien einfach weggelassen und Konsequenzen für die Behandlungsqualität schlichtweg ignoriert werden. Dies gilt auch für die bereits heute veröffentlichten Kommentare zur Entscheidung des Obersten Senats.

Im Gegensatz zu den medialen „Berichterstattern“ müssen Ärzte ständig im problematischen Zielkonflikt zwischen Sicherstellung einer hohen Behandlungsqualität für den Patienten und möglichst günstigen Behandlungskosten im Sinne der Krankenkassen (und natürlich auch wieder der Patienten im Sinne von Sozialversicherungsbeiträgen) entscheiden. Bei einer Entscheidung für (kosten-) aufwändige Behandlungsverfahren schwingt in der Berichterstattung häufig der Vorwurf der Korruption mit. Außerdem drohen den Ärzten auch noch empfindliche Regeressforderungen seitens der Krankenkassen, wie bezeichnender Weise ein uns auch gerade heute wieder kommunizierter Fall deutlich vor Augen führt. Besonders interessant an diesem heutigen Fall ist (wie auch schon bei anderen in der Vergangenheit): die Argumentation des Regresses fundiert auf unvollständigen und schlichtweg falschen Daten, gegen die ein Arzt oft nur mühsam und aufwendig argumentieren kann. Beim Auftreten therapeutischer Probleme, deren Häufigkeit mit günstigeren Behandlungsverfahren korreliert, wird dem Arzt dagegen mangelnde Verantwortung vorgeworfen.

Die immer wieder betriebene Schwarz-Weiß-Malerei ist für die Beschreibung der Sachlage schlichtweg destruktiv. Sie hat allerdings für die Berichterstatter einen zentralen Nachteil: sie wäre für den Leser eher langweilig und damit nicht medienwirksam. Die ganz offenkundige Positionierung möglichst reißerischer Schlagzeilen ausdrücklich zu Lasten einer seriösen journalistischen Hintergrundrecherche haben wir nicht zuletzt im eigenen Fall erlebt („… Sie müssen verstehen, dass angesichts der Aktualität des Themas dazu leider die Zeit fehlt.“; Anmerkung: gemeint war die fehlende Zeit eines Spiegel-Mitarbeiters für ein mehrfach unsererseits angebotenes Interview vor Veröffentlichung). Offensichtlich war die Sorge zu groß, dass die vermutete „Skandal-Story“ von einem anderen „Enthüllungsjournalisten“ früher veröffentlicht würde. Dahinter zurück stehen musste die gebotene Selbstverständlichkeit, sich objektiv und sachlich mit einem komplexen Thema auseinanderzusetzen. Hier handelte man lieber frei nach dem unter Journalisten bisweilen selbstironisch kolportierten Motto: „Ich habe doch schon meine Meinung – stört mich bloß nicht mit den Fakten!“. Aus journalistischer Sicht wohl eher bedauerlich erwies sich die „Skandal-Story“ doch eher als Zeitungsente, da nicht einmal der vermutete Tatbestand als solcher gegeben war. Würde ein Arzt ein solches Verhalten an den Tag legen, wären die Konsequenzen für den Patienten ggf. fatal, u.U. sogar lebensbedrohlich. Auch wäre seine Approbation – zu Recht – gefährdet. 

Bei ähnlichem Fehlverhalten von Journalisten besteht dagegen eine noch viel geringere Chance, Konsequenzen und Sanktionen für Fehlleistungen zu einzufordern, als bei Ärzten. 

Die Forderung nach verantwortlicher Berichterstattung würde als versuchte „Zensur“ in allen Medien widerhallen. Lieber versteht man sich als unabhängiger Mahner für Moral und Gerechtigkeit. Deren Regeln möchte man allerdings doch lieber selbst definieren. Typisch ist daher auch heute die in der Presse dominierende Kritik an der veröffentlichten Entscheidung des Obersten Senats. Nicht über die Besonderheit des Patienten-Arzt-Verhältnisses und die Gefahr einer möglicherweise primär Kosten getriebenen Behandlung im Falle eines Amtsträgers oder Beauftragten wird in berichtet. Dabei prägt dies quasi durchgängig die Begründung der Senats - Entscheidung. Nahezu unisono fokussiert sich die Presse auf den quasi letzten Absatz der Urteils-Begründung. Danach müsste der Gesetzgeber potenziell sicher vorhandene Korruption im Gesundheitswesen anderweitig regeln. Die Senats-Entscheidung wird quasi als Freifahrtschein für Korruption dargestellt. Geflissentlich „übersehen“ werden längst existierende Regelungen z.B. im Rahmen der Musterberufsordnung, bei denen Ärzten die Approbation entzogen und damit die Tätigkeit verweigert werden kann.

medmedias verurteilt ausdrücklich die Bevorzugung von Behandlungsverfahren, wenn diese nicht medizinisch begründet werden können. Gerade unsere Pharmako­therapieprojekte in Arztnetzen zeigen deswegen, dass hohe Behandlungsqualität und niedrige Therapiekosten sich nicht ausschließen müssen. Der quartalsweise veröffentlichte medmedias-Verordnungskostenindex belegt diesen Sachverhalt bereits seit Jahren. Es wäre ausdrücklich wünschenswert, wenn auch Kostenträger dies anerkennen und diesbezüglich offen mit der Ärzteschaft kooperieren würden.

Angesichts des heutigen Urteils freuen wir uns weiterhin auf eine zukunftsgerichtete und nachhaltige Zusammenarbeit mit unseren Netzen und den dazugehörigen Praxen. Dies gilt ebenso für Partner aus der Industrie zur Unterstützung von innovativen Projekten, deren Beteiligung nicht erst das AMNOG (Arzneimittelmarkt­neuordnungsgesetz) von 2011 fordert. 

Bei eventuell mittelfristig zu erwartenden Neuregelungen des Handlungsraumes ärztlicher Freiberuflichkeit bleibt zu hoffen, dass sich der Gesetzgeber nicht von populistischer Medienschelte leiten lässt. Dem konnte das hohe Richter-Gremium des Obersten Senats des BGH offensichtlich widerstehen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass künftige Arztgenerationen aus Angst vor nahezu unvermeidlichen Strafen ihre persönliche Berufung, anderen helfen zu wollen, hinten anstellen. Ein von Ärztemangel geprägtes Gesundheitssystem ist immerhin wieder ein Skandal-Thema, dass bereits heute en vogue ist. Fraglich ist, ob der Preis für die Rolle des Patienten, also alle Bürger, nicht dafür deutlich höher ist, als alle Hochrechnungen zur Korruption im Gesundheitswesen.


1 Kommentar: